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Scheinselbstständigkeit: Was Freelancer und Auftraggeber jetzt wissen müssen

Der deutsche Consulting- und IT-Dienstleistungsmarkt boomt: Für 2024 wird ein Umsatzwachstum von 9,8 % auf 51,5 Milliarden Euro prognostiziert – einer der höchsten Anstiege seit 2013. Gleichzeitig wird dieser Erfolg zunehmend durch ein regulatorisches Spannungsfeld bedroht, insbesondere durch die Unsicherheit rund um Scheinselbstständigkeit und Arbeitnehmerüberlassung (ANÜ).

Während Unternehmen auf externe Expertise angewiesen sind, um Digitalisierung und Nachhaltigkeit voranzutreiben, geraten sie – ebenso wie Freelancer – immer häufiger ins Visier der Sozialgerichte und Rentenversicherungen. Der folgende Artikel gibt einen fundierten Überblick über Risiken, Rechtslage und praktische Lösungsansätze.

Veröffentlicht am 27. Juni 2025

Das Herrenberg-Urteil: Der Wendepunkt?

Ein zentrales Ereignis war das Herrenberg-Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. Juni 2022. In diesem Fall wurde eine Musikschullehrerin, die über Jahre hinweg als selbstständig galt, nachträglich als Arbeitnehmerin eingestuft. Entscheidende Kriterien:

  • Feste Stundenpläne
  • Curricula des Auftraggebers
  • Vergütung auch bei Ausfällen
  • Fehlendes unternehmerisches Risiko

Dieses Urteil wirkte wie ein Dammbruch: Es etablierte neue Maßstäbe, die inzwischen auf zahlreiche Berufsgruppen – darunter Dozenten, Coaches, Fitnesstrainer, Rallye-Fahrer und sogar Bauhelfer – übertragen werden. Die Folge ist eine allgemeine Verunsicherung im gesamten Freelancer-Markt.

Schein­selbstständigkeit: Was bedeutet das für Geschäftsführer oder Auftraggeber?

➔ Hoher operativer Anpassungsdruck

Freelancer dürfen nicht wie Angestellte behandelt werden. Dazu gehört:

  • Keine Integration in das Team (z. B. keine Teilnahme an Teammeetings)
  • Keine Firmen-E-Mail-Adressen oder Zugänge
  • Keine festen Arbeitszeiten
  • Keine Nutzung firmeneigener Arbeitsmittel, z.B. Hardware

Verträge sollten klar projektbezogen, ergebnisorientiert und ohne Weisungsbindung formuliert sein.

➔Abwägung: ANÜ vs. Dienstleistungsvertrag

Ein ANÜ-Modell bietet rechtliche Sicherheit, erfordert jedoch:

  • Eine Lizenz der Bundesagentur für Arbeit
  • Einhaltung von Equal Pay nach 9 Monaten
  • Maximale Einsatzdauer von 18 Monaten

Dienstleistungsverträge hingegen sind flexibler, bergen jedoch ein deutlich höheres Scheinselbstständigkeitsrisiko. Eine Hybridstrategie, bei der z. B. langfristige Tätigkeiten über ANÜ und projektbasierte Leistungen über Dienstverträge abgewickelt werden, kann sinnvoll sein.

Scheinselbstständigkeit-Blogbeitrag-C4-Energy-Hamburg

Was bedeutet das für Freelancer?

Vertrauensschutz schwindet

Selbst bei schriftlichen Verträgen mit Selbstständigenstatus zählt allein die gelebte Praxis. Werden Weisungen befolgt, Arbeitsmittel gestellt oder feste Zeiten eingehalten, droht im Ernstfall eine Rückabwicklung – inklusive Strafzahlungen.

Kostenrisiken sind existenzbedrohend

Bei einer Rückumwandlung in ein Arbeitsverhältnis muss der Auftraggeber bis zu 40,9 % des Honorars als Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen – auch rückwirkend für vier Jahre. Strafrechtlich drohen Sanktionen nach § 266a StGB (bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe).

„Brain Drain“ in vollem Gange

Laut Studien des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) denken bis zu 54 % der Freelancer über eine Auswanderung nach. Hauptgründe:

  • 69 % beklagen überbordende Bürokratie
  • 42 % fürchten Scheinselbstständigkeit
  • 52 % nennen hohe Abgaben und Steuern
Praktische Empfehlungen für Freelancer
  • Mehrere Auftraggeber nachweisen
  • Eigene Hardware & Software verwenden
  • Nicht beim Kunden vor Ort arbeiten – Homeoffice bevorzugen
  • Eigene Webseite, Rechnungswesen, AGBs, Geschäftsadresse nutzen
  • Keine interne Kommunikation des Kunden nutzen (z. B. Slack, Jira)

Auch der Beitritt zu einer Genossenschaft wie Smart Coop Germany kann helfen: Diese Modelle bieten eine Zwischenlösung mit sozialer Absicherung und administrativer Entlastung.

Fazit: Ein Markt im Wandel

Deutschland steht an einem Scheideweg: Einerseits wird hochspezialisierte externe Expertise für Digitalisierung, KI und ESG-Beratung dringend benötigt. Andererseits treibt die juristische Unsicherheit im Dreieck Scheinselbstständigkeit-Freelancer-Auftraggeber immer mehr Fachkräfte ins Ausland – mit potenziell gravierenden Folgen für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit.

Solange keine eindeutige gesetzliche Reform erfolgt, gilt für alle Beteiligten: Dokumentieren, trennen, beraten lassen. Nur durch strategische Weitsicht und professionelle Vertragsgestaltung lassen sich die Spielräume der Selbstständigkeit in Deutschland weiterhin sicher nutzen.

Quellenverzeichnis:

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